Mein Mann kommt mir englisch-sprechend im Flur mit Laptop und Kopfhörern entgegen auf der Suche nach dem besten Internetspot in unserer Wohnung, die Kinder sitzen in der Küche im neu errichteten Home Schooling Bereich, der zwischen 9-12:30 Uhr den Klassenraum ersetzt, dann zur Schulkantine wird und 13:30h, von Krümeln und Tomatensoße befreit, mein Büro, und versuchen sich, durch die Wochenpläne und digitalen Aufgabenstellungen der Lehrer zu kämpfen. Ich stehe Rede und Antwort bei geografischen, grammatikalischen und geometrischen Fragen Klasse 2-7. Nebenher checke ich meine Arbeitsaufträge, organisiere sie zeitlich im Kopf und spreche mit einem Auftraggeber über die Digitalisierung eines Workshops, den wir nächste Woche statt persönlich, virtuell durchführen wollen. Die Wichtigkeit dieses Auftrags, weil das wirtschaftliche Überleben meines Jobs dranhängt, ist natürlich nur mir bewusst. Dann piepst die Waschmaschine und der Paketbote klingelt. Seit Montag ein völlig normales Szenario in vielen europäischen Haushalten. Zu dem ohnehin herausfordernden Jonglieren zwischen Beruf und Kindern schenkt uns die CoVid19 Krise eine völlige Integration von Arbeits- und Familien-Alltag.
Glaubten wir bis jetzt, die sich ständig ändernden Anfragen und Herausforderungen von Kind und Beruf wären an einem Maximum angekommen, lehrt uns diese Krise nun, was sich tatsächlich alles in dem Begriff VUCA verbirgt. Die Rahmenbedingungen ändern sich täglich, die eigene Rolle wird ständig neu definiert, wir decken Bereiche ab, von denen wir bisher gar nicht wussten, dass wir sie können und wissen heute noch nicht, wie es morgen weiter gehen wird. Wir sind zur permanenten Flexibilität und Anpassung aufgefordert und trotz Ungewissheit zu größtmöglicher Kreativität und Leistung.
Als der Begriff „VUCA“ Ende der 90er, als der Kalte Krieg zu Ende war, vom amerikanischen Militär ausgeklügelt wurde, um die neu entstandene Kriegssituation zu beschreiben, ahnte keiner, wie treffend dieser Begriff VUCA (Volatily Uncertainty Complexity Ambiguity) in den noch entfernt liegenden 20ern unsere Lebenssituation beschreiben würde. In den 1990ern konstruiert, um zu beschrieben, dass man es nicht mehr nur mit einem Feind zu tun hatte, sondern plötzlich mit einer womöglich ganzen, im Wandel begriffenen Welt, in der man nicht wusste, wer alles oder auch nicht Feind war oder wird.
Was bei den Einen Panik hervorruft, setzt bei Anderen ungeahnte Energien frei. Selten konnten wir so deutlich anhand der Gesellschaft sehen, wie unfassbar unterschiedlich und individuell die Krise für jeden von uns ist. Während Eltern im Homeoffice versuchen, alle bisherigen Aktivitäten ihrer Sprösslinge, die im Normalfall außerhalb der heimischen Vier Wände stattfanden, digital und indoor zu lösen, Kinderenergie und Bedürfnisse nach Luft und Bewegung, Freunden und Abwechslung etc. gerecht zu werden und nebenher nicht über das entstehende Chaos zu verzweifeln, nutzen kinderlose Menschen die neugewonnene Zeit, um längst vergessene Projekte anzugehen. Wieder Andere genießen die entschleunigte Stadt und die Befreiung vom Druck, alles immer mitbekommen und an der richtigen Stellen zur richtigen Zeit sein zu müssen. Die neueste Bar, die nächste Vernissage und die Uraufführung im Schauspielhaus. Die Baumärkte verzeichnen einen steigenden Absatz an Farbe und Malerartikel (endlich hat man mal Zeit das Wohnzimmer zu streichen…), Bücher Kleider und Abstellkammern werden ausgemistet, sortiert und geordnet und die Mahnungen zur Steuererklärung 2019 werden in diesem Jahr einen absoluten Tiefstand erleben.
Blicken wir aus dem privaten Bereich in den wirtschaftlichen, fordert die derzeitige Situation mehr denn je das, was wir in unseren Coachings und Workshops schon seit einiger Zeit als Thema im Zusammenhang mit Resilienz bearbeiten – den Umgang mit der aufsteigenden Panik und der Unfokussiertheit, weil Situationen vollkommen unklar sind, Anforderungen sich permanent verändern, kurzfristiger und noch viel digitaler gedacht werden müssen. Ganze Berufssparten sind nun in der Zwangspause und sind aufgefordert, sich neu zu erfinden, um zu überleben. Das Tool, das uns hilft aus solch fordernden Zeiten ein Gewinn zu ziehen, ist die Kunst des Improvisierens. Grundlegend braucht es zum Improvisieren wenig, aber Existenzielles: Die Bereitschaft sich auf die Situation einzulassen und sie nicht zu bekämpfen, den eigenen Fokus nicht zu verlieren und Kreativität zuzulassen, den gewohnten ursprünglichen Pfad zu verlassen und neuen Impulsen Raum zu geben. Dabei mit Mut und Vertrauen in seine eigenen Stärken, Gewohntes loslassen und diszipliniert an den Verabredungen mit sich selbst festhalten. Künstler*innen sind dabei ein schönes Beispiel, Igor Levit schenkt der Welt jeden Abend ein Klavierkonzert aus seinem Wohnzimmer, Lesungen junger Autorinnen wie Jasmin Schreiber, finden aus den eigenen vier Wänden statt mit Angabe des Pay Pal Kontos und der Buchladen bringt ihnen per Fahrrad ihren Bücherkauf nach Hause. Selbstverständlich liegt das Paket dann auf ihrer Fensterbank oder Treppe, sodass es zu keinem persönlichen Kontakt kommt.
Fehlt Ihnen noch die Klarheit über Ihre tatsächlichen Stärken und Ihre ganz individuelle Krisen-Strategie ist können Sie sich auf einen spannenden Prozess freuen, der jetzt beginnt – der des Improvisierens und täglichen Dazulernens.
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