Krisen in der Improvisation und Improvisation in der Krise

Die Scheinwerfer tauchen die Bühne in ein helles Licht, gleichzeitig wird das Saallicht gedimmt, auf den Stühlen rechts und links von mir werden die Handys respektvoll in die Taschen gesteckt, man setzt sich aus der gebeugten Handy- Haltung aufrecht hin und die Blicke wandern erwartungsvoll Richtung Bühne.

Aber noch bevor die energisch auftretende Speakerin überhaupt ein erstes Wort ihrer Rede sagen konnte, seufzt es vor, neben und hinter mir tief und die gerade noch aufgerichteten, erwartungsvollen Rücken lehnen sich enttäuscht wieder zurück, während die gerade aufgebaute Aufmerksamkeit im Keim erstickt wurde.

Kein Wunder, denke ich, wir sind zu einem spannenden Vortrag über Führungskompetenzen im 21. Jahrhundert zusammengekommen und die erste Seite der Power Point Präsentation wirft in riesigen Lettern die Aussage an die Wand:

Die Krise als Lehrmeister:in! Was wir Positives aus den letzten Pandemie- Jahren mitgenommen haben.

Ich kann es meinen Mitzuhörern nicht verübeln, dass sie sich genervt zurücklehnen, auch ich habe überhaupt keine Lust mehr zurückzuschauen und mir zu überlegen was alles positiv und wertvoll aus diesen Jahren der Pandemie in unsere eh schon prall gefüllten Erfahrungs-Rucksäcke gesteckt werden soll, um aus dieser Zeit einen Nutzen zu ziehen.

Gar nicht so einfach, sich mit dem, was komplett anders gelaufen ist, als wir es uns vorgestellt haben, positiv auseinander zu setzen. Wir haken gerne ab und richten den Blick nach vorne. Und wenn wir keine Blaupause in unserem Erfahrungsschatz haben, die wir aus unserem Verhaltens-Koffer verwenden können, geraten wir ins Schwitzen und wollen der Situation gerne so schnell wie möglich entkommen.

Zu Recht. Die Kunst, das Leben so zu nehmen, wie es kommt, bleibt für jeden eine Herausforderung. Was braucht es also, um sich in den Zeiten von Polykrisen und VUCA dennoch zu behaupten? Wie kann es gelingen, Unerwartetem und vielleicht Herausforderndem gegenüber, eine neugierige und mutige Antwort zu finden, die uns und andere weiterbringt und uns, auch wenn alles Gelernte nicht greift, dennoch ein Gefühl von Souveränität und Vertrauen in den Prozess vermittelt.

Dazu lohnt sich ein Blick in die Methoden professioneller Schauspieler, die sowohl in ihrer Ausbildung als auch bei jedem neuen Stück intensiv üben, sich von ihrer Erwartungshaltung zu lösen, sich auf sich und seine Gegenüber zu verlassen, Raum zu schaffen und zuzuhören, jenseits der eigenen Perspektive. Denn in einer Zeit, die von stetigem Wandel geprägt ist, und wo wir gar nicht sicher sein können, ob unsere Einstellungen, Werte und Ideen morgen noch Bestand haben, weil die Vuca-Welt sich unaufhörlich dreht, braucht es Methode, um sich auf etwas Unbekanntes einzulassen. Sie nennen es Improvisation.

Diese Königsdisziplin des menschlichen Tuns, hat – gemessen an den dem Ideal stabiler Verhältnisse, nach wie vor einen schlechten Ruf. Sie gilt gerne als Notbehelf, weil Improvisation, als Ausdruck mangelnder Fähigkeiten und Erfahrungen oder unzureichender Antizipation gesehen wird.

Aber das Gegenteil ist der Fall. Improvisieren ist das goldene Handwerk des Schauspielers, der ohne Improvisationsfähigkeit nichts wäre. Von Beginn an lernt er, dass in der Improvisation, im „Nicht-wissen-wie-es-geht“, die goldenen, wirklich erfolgreichen Momente einer Szene, oder die Schlüssel zu einer Figur liegen, weil es jenseits von dem sattfindet, was wir uns in unserem begrenzen Wissen vorstellen können. Erst durch das Betreten eines unbekannten Terrains, finden wir die ungeahnten Möglichkeiten und Lösungen einer Szene, eines ganzen Stückes, ja die Kunst, Kunst zu schaffen oder ganz banal, einen unterhaltsamen Abend zu gestalten oder eine gute Geschichte zu erzählen. Oder, um es mit Albert Einstein zu sagen „Kreativität ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“

Im Coaching machen wir uns diese Erkenntnisse zunutze und investieren – gemeinsam mit unseren Klienten, in den Ausbau und Verstetigung ihrer Improvisationsfähigkeit.

Dabei steht im Mittelpunkt, es in unvorhergesehenen Situationen überhaupt nicht so weit kommen zu lassen, dass das Cortisol das Ruder in die Hand nimmt und das Blut aus unseren Köpfen in unsere Mägen schießt, so dass wir keinen klaren Gedanken mehr fassen können, sondern lieber fliehen würden.

Dafür, dass das nicht passiert, stehen uns zwei wichtige Fähigkeiten immer Verfügung:

  • Das Akzeptieren der Situation („Ja, und das bedeutet… vs. „Nein, so will ich das nicht“) und
  • Der Atem – in Form eines oder mehrerer tiefer bewusster Atemzüge in den Bauch, der die Ebenen zwischen unserer kognitiven Wahrnehmung und der Emotion wieder verbindet

Damit ankern wir wieder in unserem Körper, gewinnen Kontrolle über uns selbst und unsere Reaktionen und Zugriff auf alles, was wir gelernt und vorbereitet haben und nun abrufen können.

Heißt das jetzt, das Vorbereitung sinnlos ist?

Der große Showmaster Rudi Carell sagte einmal:

Wer auf der Bühne ein As aus dem Ärmel ziehen möchte, muss es vorher hineinstecken.

Und dieses Vorher ist der magische Punkt, den wir gerne überspringen. Dabei ist die Vorbereitung die große Schwester der Improvisation – nur wer gut vorbereitet und ausgestattet ist, kann im richtigen Moment loslassen und improvisieren.

Folgende Drei-Schritt Methode eignete sich für jedwede Vorbereitung herausfordernder Situationen – seien es Mitarbeiter-Gespräche, Verhandlungen, Präsentationen, Pitches etc.

Werden Sie sich vorher bewusst über Ihr(e):

Goal

Was ist mein Ziel, meine Keymessage, die ich erreichen möchte? Das darf auch ein übergeordnetes Ziel sein, wie, daß dieses Gespräch einen positiven Grundton haben soll und ich mit meinem Gesprächspartner eine Einigung finden möchte.

Role

Welche Rolle nehme ich ein, als wer und was möchte ich gesehen werden.

Frame

Was ist der Rahmen des Gesprächs, wo befinden wir uns und vor allem wer ist mein Gegenüber? Welche Perspektive nimmt er oder sie ein? Welchen Wissensstand hat sie und was könnten ihre Argumente sein?

…haben Sie in jedem Fall eine Blaupause, die Ihnen hilft, auch unvorhergesehene Situationen in Ihrem Sinne zu steuern.

Das Wort „Krise“ stammt übrigens aus der Medizin. Hippokrates beschreibt sie als Höhepunkt einer Krankheit und damit das Erreichen des Wendepunkts. Werden Sie also demnächst mit einer unvorhergesehenen krisenhaften Situation konfrontiert, denken Sie gerne an ihr As im Ärmel und leiten mit Akzeptanz und Atem den Wendepunkt ein, um sie dann mit Goal, Role, Frame ganz in Ihrem Sinne zu steuern.