Tendieren wir dazu, unsere „Fellpflege“ in Krisenzeiten zu vernachlässigen?

Auf meinem Weg über die Expo Real in München höre ich Gesprächsfetzen wie „Die deutsche Wirtschaft schrumpft, Deutschland fällt zurück“, „Schlüsselindustrien wandern ab“, „Unsere Branche leidet überproportional durch die gestiegenen Zinsen und die wuchernde Regulatorik“….die Hiobsbotschaften reißen nicht ab. Und Unternehmenslenker und Führungskraft tun gut daran, diese Anzeichen ernst zu nehmen und ihre Organisationen einmal mehr krisenfest bzw. zukunftssicher zu machen. Für Viele bedeutet das, eine weitere Kostensenkungsrunde, nochmal ordentlich Druck auf die Vertriebsmannschaft ausüben und sich mit größeren Investitionen oder Innovationen erst einmal zurück zu halten.
 
Und die „weichen“ Faktoren wie Führung, Kommunikation und Zusammenarbeit? Für diese gilt häufig ebenfalls „Sparprogramm“. Nach dem Motto „Für so einen Wohlfühlkram haben wir jetzt wirklich weder Zeit noch Geld“. Eine verständliche Haltung. Aber auch eine nützliche? Nützlich, um die Krise gut zu bewältigen und sogar gestärkt oder wettbewerbsfähiger daraus hervorzugehen?
 
Der sog. Tunnelblick ist eine archaische und in lebensbedrohlichen Situationen durchaus hilfreiche Reaktion unseres zentralen Nervensystems. Es bedeutet, dass wir uns auf das Wesentliche beschränken und all unsere Aufmerksamkeit und Energie darauf konzentrieren, „am Leben“ zu bleiben. Das mag, angesichts eines Säbelzahntigers, die richtige Strategie gewesen sein. In unserer hochkomplexen und dynamischen Welt, in der es immer weniger einfache Wahrheiten gibt, steigt die Sehnsucht nach eben diesen überproportional an.
 
Dieses Verlangen ist jedoch ein trügerischer Ratgeber. Denn gerade jetzt gilt es, Risiken und Chancen gleichermaßen im Blick zu behalten. Und dies gelingt nun einmal mit Perspektivenvielfalt und im Dialog mit dem gesamten Team deutlich besser als allein mit Silo-Blick. Kreativ- und Lösungskompetenz steigen gleichermaßen, wenn sich ein Team für sich und die gemeinsamen Themen Zeit nimmt – druckfrei, ausbalanciert und chancenorientiert. Wirklich resiliente Teams machen gerade in Krisenzeiten die „Fellpflege“ zur wichtigsten Routine.
 
Und nicht nur in Richtung Markt ist diese Routine hochwirksam. Auch für den Schulterschluss in Sachen Führung und Kommunikation in Richtung der Mitarbeitenden und der gesamten Organisation ist es essenziell. Zu stark wirken sonst die Zentrifugalkräfte der unterschiedlichen Ziele der Verantwortungsbereiche einzelner Führungskräfte und produzieren widerstreitende Prioritäten und unterschiedliche Kernbotschaften für die Ebenen unter dem Führungsteam, welche dann mit diesen Zielkonflikten versuchen müssen, zu leben und zu arbeiten.
 
Nicht zuletzt zahlt es auf die Lebens- und Arbeitsqualität der Führungskräfte selbst ein und wirkt damit nachhaltig Resilienz-stärkend. Wenn Reibungen und Missverständnisse im Führungsteam reduziert werden, kraftvolle gemeinsam getragene Entscheidungen getroffen und vertreten werden, entwickelt jeder Einzelne aber auch das Kollektiv ein ganz anderes Potential. Und das können wir in der Krise gut gebrauchen.

Was es für diese Fellpflege braucht? Zeit, einen „safe space“, in dem sich das Team gute Kommunikationsregeln gibt und ggf. einen Moderator, der eine ergebnisoffene und neutrale Diskussion sicherstellt und die Führungskräfte an geeigneten Stellen mit Fragen und Impulsen aus der Komfort-Zone hinaus und ihre Wachstumszone hineinbegleitet.
 
Ich erzähle Ihnen das doch nur, weil ich selbst als Coach und Moderatorin tätig bin? Stimmt! Ich kann mich jeden Tag davon überzeugen, wie wirksam es ist, wenn sich Führungs- und Hochleistungsteams Zeit für sich selber nehmen. Ein Ressourcen-stärkendes Erlebnis für alle die daran teilhaben und mitgestalten dürfen, und regelmäßig die Tür zum gemeinsamen „Next Level“ aufmachen. Und was, wenn nicht das, brauchen wir in der Krise, nach der Krise und vor der nächsten Krise?

 
Ihr Julia Weiss vom Team von Weiss & Cie